Zur Beteiligung der Zivilgesellschaft am Untersuchungsausschuss Neukölln-Komplex, 10. Januar 2022
An die Abgeordnetenhausfraktionen von SPD, Bündnis 90/die Grünen und Die LINKE
Wir schreiben Ihnen gemeinsam als Neuköllner Initiativen, die sich gegen die jahrelange neonazistische Gewalt im Bezirk organisiert haben.
Um die Ursachen des Behördenversagens bei rechten Angriffen aufzuarbeiten, haben wir uns für die Einrichtung eines Parlamentarischen Untersuchungsausschusses eingesetzt, der laut Ihren Koalitionsvereinbarungen nun schnellstmöglich eingesetzt werden soll.
Wir möchten unsere Forderung bekräftigen, Neuköllner Initiativen, kritische Zivilgesellschaft und Betroffene der Anschläge dauerhaft und unmittelbar an der Arbeit des Untersuchungsausschusses zu beteiligen. Die Abgeordneten sind zur Aufklärung auf das Wissen der Initiativen angewiesen. Und die Initiativen können ohne unmittelbaren Zugang nur sehr begrenzt kritische Begleitung und Nachforschungen leisten, die auch für die Glaubwürdigkeit der Aufarbeitung Voraussetzung sind. Notwendig ist dafür, dass alle Sitzungen und Befragungen des Untersuchungsausschusses öffentlich stattfinden.
Wir erwarten, dass bereits bei der Erteilung des Auftrags für den Untersuchungsausschuss unsere Einbindung in die Arbeit des Untersuchungsausschusses erfolgt. Wer nicht die richtigen Fragen stellt, hat keine Chance auf Erkenntnis. Dabei ist unser Input unverzichtbar.
Grundsätzlich gilt:
- Wegen der Zusammenhänge der rechten Terrorserie in Neukölln seit 2016 mit Anschlägen vor 2016 (z.B. auf das Falkenhaus) muss der Untersuchungszeitraum offenbleiben.
- Wegen der überregionalen Vernetzung der Tatverdächtigen sowie ihrer Aktivitäten und Straftaten außerhalb des Bezirkes müssen rechte Verbindungen, Vorfälle und Akteure in ganz Berlin und darüber hinaus in den Untersuchungsauftrag aufgenommen werden. Dazu gehören insbesondere nicht aufgeklärte rechte Straftaten (z.B. der Mord an Burak Bektaş) und auch Erkenntnisse Nicht-Berliner Behörden.
- Bei dem von der BAO Fokus und den Sonderermittler*innen festgestellten Versagen der Behörden im Neukölln-Komplex muss grundsätzlich nach dem Umgang mit rechten Straftaten und Aktivitäten, rechten Vorkommnissen in den eigenen Reihen, Sympathien mit rechten Ideologien und Tätern, Verbindungen zu rechten Akteur*innen, V-Leuten etc. gefragt werden.
- Das beinhaltet auch bisher nicht untersuchte Verstrickungen der Berliner Behörden in den NSU-Komplex. Hierzu gehört die Untersuchung, inwiefern die Weigerung, einen Berliner Untersuchungsausschuss zum NSU-Komplex zu bilden, problematische Arbeitsstrukturen in den Berliner Behörden begünstigt hat.
- Zum komplexen Charakter des Naziterrors in Neukölln gehört auch die Beteiligung verschiedenster Behörden. Neben der verschiedenen Ebenen der Berliner Polizei (Abschnitte, Direktionen, LKA) dürfen auch die Rolle und Verantwortung von Verfassungsschutz und Staatsanwaltschaft nicht ausgespart werden.
Einige der Fragen, deren Aufklärung wir erwarten, sind:
- Ab wann das LKA und der Verfassungsschutz konkrete Kenntnis von Straftaten durch Neuköllner Neonazis hatten, und ob hier (wie auch beim Thema Breitscheidplatz) möglicherweise die politischen Einstellungen einzelner Beamter oder politische Erwägungen der LKA-Führung zu einer falschen Schwerpunktsetzung führte.
- Warum der LKA-Beamte W., der auch an Observationen beteiligt war, in einer bekannten rechten Kneipe verkehrte, die eine lange Geschichte von Neonaziaktivitäten hat.
- Die Abläufe um die rassistische Gewalttat durch den Neuköllner Polizisten K. und die Abschiebung seines Opfers. Jamal Ahmadis Abschiebung hatte mit Rechtsstaatlichkeit nichts zu tun, er muss ein Bleiberecht als Opfer rassistischer Gewalt erhalten und die Möglichkeit, vor dem Untersuchungsausschuss auszusagen.
- Die Abläufe um den extrem rechten BKA-Beamten Wischniowski, der gemeinsam mit dem Neonazi Paulenz und anderen den Bezirksvorstand der Neuköllner AfD bildete.
- Die Arbeit der EG Resin ab Frühjahr 2017 und die Gründe für den Austausch ihrer Leitung 2018.
- Inwiefern Oberstaatsanwalt F. und Staatsanwalt S. Einfluss auf die Verfahren gegen Polizeibedienstete genommen haben, die von ihrer Abteilung bearbeitet wurden.
- Inwiefern Oberstaatsanwalt F. und Staatsanwalt S. politisch auf die Strafverfolgung Einfluss genommen haben. Insbesondere sei hier an ein hanebüchenes Verfahren nach Paragraf 129 StGB gegen das Berliner Bündnis gegen Rechts mit über 30 Beschuldigten erinnert, während zeitgleich im Neukölln-Komplex weitestgehend weggeschaut wurde.
- Die wiederholten Fälle von Datenweitergaben durch Bedienstete von Polizei und Staatsanwaltschaft an Neonazis und andere rechte Strukturen.
- Die Drohbriefe und angekündigte Datenweitergabe an Neonazis durch die Beamt*innen K. vom Abschnitt 51 und P. vom Staatsschutz sowie die Überschneidungen mit Datensammlungen, die bei Neonazis gefunden wurden.
- …
Unser Bedürfnis nach Aufklärung ist dringend. Durch unsere Mitwirkung wollen wir zum Erfolg des Untersuchungsausschusses beitragen. Und uns ist wichtig, dass einem möglichen Scheitern des Untersuchungsausschusses bereits jetzt entgegengewirkt wird.
Unterzeichnende: AgR Neukölln, Basta, Burak-Ini, KOP, Neukölln Watch, OPRA, ReachOut, Autonome Neuköllner Antifa, *andere zustände ermöglichen, Rudow empört sich, Bündnis Neukölln, VVN Neukölln